TUI steht auf sehr stabilen Beinen und will entlang der gesamten Wertschöpfungskette wachsen. Ein Strategiegespräch mit TUI-CEO Fritz Joussen über die Moments of Truth des Touristikkonzerns, den Trend zu Individualisierung und die damit verbundenen Investitionen. Darüber, welche Chancen und Potenziale im Bereich Ancillaries stecken. Und über das Wachstumspotenzial, das von den TUI-Kunden ausgeht.
Herr Joussen, was war Ihr persönlicher TUI-Moment im
vergangenen Jahr?
Es gab viele besondere Ereignisse – mit Kunden, Geschäftspartnern und unseren Mitarbeitern. Die Eröffnung neuer Hotels, die Taufe der neuen Mein Schiff 1, der seinerzeit erste Club unserer Marke Robinson auf Fuerteventura erstrahlt seit Dezember in neuem Glanz, in England ist der Wechsel zur Marke TUI hervorragend gelungen und in Skandinavien beweisen wir, dass TUI bereits heute durch und durch digital ist. In Deutschland haben wir auf Initiative des Konzernbetriebsrats newWork@TUI gestartet. Für unser Geschäft in den Zielgebieten haben wir zwei Unternehmen dazugekauft, unter anderem das italienische Digital-Start-up Musement. Das waren zweifellos Höhepunkte im Jahr 2018. Und auch wirtschaftlich war 2018 ein sehr gutes Geschäftsjahr. Das vierte Jahr in Folge sind wir beim operativen Ergebnis zweistellig gewachsen, also über zehn Prozent. Das ist ein gemeinsamer Erfolg. Unsere rund 70.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben diesen Erfolg möglich gemacht. Sie sind die Botschafter unserer Marke, sie machen uns für die Gäste erlebbar. Dafür sage ich Danke.
Zu Jahresbeginn waren die Aussichten sogar noch etwas besser. Hat das Jahr auch Überraschungen gebracht?
Zunächst: Wir haben geliefert, was wir versprochen haben. Ein Wachstum von mehr als zehn Prozent beim operativen Ergebnis erreichen nicht viele Unternehmen so nachhaltig, wie TUI es über mehrere Jahre in Folge tut – trotz eines anspruchsvollen Umfelds. 2018 war kein einfaches Jahr. Die Entwicklung des Britischen Pfund infolge der Brexit-Entscheidung war insbesondere für britische Verbraucher und Urlauber spürbar. Dazu kam ein extrem heißer Jahrhundertsommer in Nord- und Zentraleuropa. Viele Kurzentschlossene haben Urlaub zu Hause gemacht. Unser gutes Ergebnis zeigt aber, dass der Konzern und unser Geschäft gut aufgestellt sind.
Ein wichtiger Baustein war der Strategiewandel, weg vom reinen Veranstalter, hin zum integrierten Tourismuskonzern mit Schwerpunkt Hotels und Kreuzfahrten. Wo steht TUI heute?
Der 2013 eingeleitete Umbau vom reinen Reiseveranstalter und Händler zum Entwickler, Investor und Betreiber zahlt sich weiter für uns aus. Unser Geschäft ist viel gleichmäßiger über das Jahr verteilt, die Abhängigkeit vom Sommerquartal sinkt und die Margen von Hotels und Kreuzfahrtschiffen sind höher. Diesen Wandel vom Veranstalter zum integrierten Tourismuskonzern haben wir weitgehend abgeschlossen. Mittlerweile kommen rund 70 Prozent der Erträge aus den Sparten Hotels und Kreuzfahrten sowie aus Aktivitäten und Services in den Zielgebieten.
Was kommt jetzt?
Der Wandel geht weiter. Wir haben im Sommer unsere Organisation im Konzern gestrafft. Mit einem klaren Ziel: schneller, effizienter und dynamischer zu werden. Wir bewegen uns hin zu einem Digitalunternehmen. Die Digitalisierung soll in Zukunft die Hälfte zum Ergebniswachstum beitragen. Und ich meine damit nicht den Verkauf über Online-Kanäle. Das machen wir natürlich längst. In einigen Märkten verkaufen wir fast ausschließlich online, in anderen sind Reisebüros und persönliche Beratung weiter stark gefragt. Wir sind jeweils so digital, wie unsere Kunden in den einzelnen Märkten es von uns verlangen. Was ich meine, ist, dass wir unsere Geschäftsprozesse digitalisieren. Erstens bei den Services und Angeboten für die Kunden: Wenn ich den Kunden kenne, kann ich maßgeschneiderte Angebote erstellen. Also Services entwickeln, die Relevanz für den Gast haben, den Urlaub schöner und komfortabler machen – und den Umsatz mit uns erhöhen. Für gute Services ist der Kunde auch bereit zu zahlen. Zweitens findet die Digitalisierung auf der Anbieterseite statt. Wir steuern unsere weltweiten Hotelkapazitäten mehr und mehr zentral in der Blockchain. Das garantiert hohe Transparenz über alle Märkte, die optimale Steuerung der Auslastung und die Erhöhung der Profitabilität.
27 Millionen Kunden, der Begriff Pauschalreise, Sorglosbetreuung vor Ort – das alles klingt nicht gerade nach Individualität. Wie passt das zusammen?
Und wie das zusammenpasst. Vielleicht ist der Begriff Pauschalreise an sich nicht sehr modern. Aber das Angebot dahinter ist es. Unsere Kunden wünschen sich ein sehr individuelles Urlaubserlebnis, diesen einen, besonderen Moment, der in Erinnerung bleibt. Und sie schätzen die Vielfalt an Angeboten, die Qualität, den Service und die persönliche Betreuung am Urlaubsort. Das beginnt bei der Planung der Reise und geht weiter über den Flug bis zum Hotel. Immer wichtiger werden Aktivitäten und Services am Urlaubsort.
Wie soll das gehen, bei 27 Millionen Gästen?
Gerade weil wir jährlich 27 Millionen Gäste haben, können wir besondere Services am Urlaubsort anbieten – für jeden Gast und zu bezahlbaren Preisen. Wichtig ist, dem Kunden nur Angebote zu unterbreiten, die wirklich zu ihm passen. Niemand kennt die Reisegewohnheiten und Wünsche der Kunden im Urlaub besser als wir. TUI sitzt auf einem riesigen Wissensschatz, und wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, diese Informationen im Sinne der Kunden aufzuarbeiten und zu nutzen. Wenn ein Kunde bei TUI eine Reise bucht, liegen zwischen Buchung und Reiseantritt meist mehrere Monate. Dieses Zeitfenster wollen wir künftig besser nutzen, um Gästen schon vor Urlaubsbeginn Produkte und Services anzubieten, die auf ihre Wünsche zugeschnitten sind. Wir wollen gezielt Angebote machen, die so individuell sind, wie es unsere Kunden sind. Wir alle wissen: Kein Mensch möchte mit Spam genervt werden. Unser Ziel ist es, so gut zu sein, dass jedes fünfte Angebot beim Kunden eine Kaufentscheidung auslöst.
Wie wollen Sie die Wünsche der Gäste so genau erkennen?
Es sind drei Dimensionen: historische Daten, die Ableitung von den Wünschen anderer Gäste und Prognosen für die Zukunft. Was sind heute die Gewohnheiten unserer Kunden, ihre bevorzugten Ziele, Hotels, Zimmer, Ausflüge und Aktivitäten, wann reisen sie? Was machen andere Gäste im gleichen Alter oder mit einem ähnlichen persönlichen Hintergrund? Wir sind ein Serviceunternehmen und kennen unsere Gäste gut – auch weil TUI viele treue Stammkunden hat. Auch hier hilft uns die Digitalisierung. Wir setzen auf moderne IT, künstliche Intelligenz und Algorithmen. Unsere Investitionen in Mitarbeiter und Technik haben sich ausgezahlt. Digital sind wir inzwischen sehr gut aufgestellt. Wir haben sehr bewusst auch in neue Mitarbeiter investiert, völlig neue Berufsbilder bei TUI etabliert und Führungskräfte und Experten aus globalen Technologieunternehmen zu TUI geholt.
Sie sagten, Individualität wird zunehmend wichtiger. Aber woher kommen denn die individuellen Angebote?
Unsere spanische Tochter TUI Destination Experiences spielt dabei eine zentrale Rolle. Nicht umsonst haben wir die Einheit deshalb kürzlich umbenannt. Es sind nicht mehr nur Services, die die Kollegen vor Ort am Urlaubsort bieten. Sie schaffen Erlebnisse, Aktivitäten, Momente, die den Urlaub zu etwas Besonderem machen. Hierfür haben wir nochmals investiert und sind nun in fast
50 Ländern als TUI selbst vertreten. Doch das alleine reicht nicht. Daher haben wir vor kurzem das Start-up Musement gekauft. Das italienische Technologieunternehmen betreibt eine Plattform, auf der Aktivitäten im Urlaubsgebiet und Kunden zusammengebracht werden. Diese Plattform werden wir deutlich ausbauen, um unseren Kunden so viele Angebote und Aktivitäten wie möglich anbieten zu können. Ich sehe da sehr großes Potenzial.
Haben Sie ein Beispiel?
Es ist vielleicht etwas plakativ, aber eine junge Familie mit kleinen Kindern interessiert sich wahrscheinlich mehr für einen Tagesausflug in den Erlebnispark als für einen Museumsbesuch. Und eine Gruppe von jungen Erwachsenen entscheidet sich vielleicht eher für eine Mountainbiketour in den Bergen.
Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Wenn wir weiter erfolgreich sein wollen, müssen wir auf die individuellen Wünsche der Kunden eingehen. Der Bereich der Zusatzerlöse, im Englischen „Ancillaries“, ist sehr profitabel. Aber man muss es richtig machen. Die Margen im klassischen Veranstaltergeschäft sind im unteren einstelligen Bereich. Im Hotel- und Kreuzfahrtgeschäft verdienen wir deutlich mehr an jedem ausgegebenen Euro – daher investieren wir hier kräftig. Bei den Ancillaries sind die Spannen ebenfalls sehr interessant.
Wie das?
Nehmen Sie mal den beliebten Sitz im Flugzeug direkt am Notausgang. Den können Sie an den vergeben, der als Erster am Check-in danach fragt. Sie können den Sitz aber auch vorab gezielt anbieten. Heute können Gäste in der Regel zwischen Zimmern mit Meer- und Gartenblick wählen. Aber jedes Zimmer ist individuell. Nah am Fahrstuhl, weit weg vom Fahrstuhl, das Eckzimmer, nah am Pool oder am Kinderclub oder möglichst weit entfernt. All das sind Wahlmöglichkeiten, die wir heute noch nicht in unseren Produkten anbieten. Wenn wir das richtig machen, können diese Zusatzangebote enorm skalieren. Ich denke dabei insbesondere an das Potenzial bei unseren 21 Millionen Kunden aus den europäischen Quellmärkten. Wir erreichen weiteres Wachstum und verbessern im gleichen Zug das individuelle Kundenerlebnis.
Geht die Erfolgsgeschichte Tourismus immer so weiter?
Es gibt keine Anzeichen, dass das nicht so ist. In den vergangenen 15 Jahren ist der Tourismus immer stärker gewachsen als das Sozialprodukt – außer im Jahr nach der Bankenkrise, im Jahr 2009. Mit dem Wachstum einher geht natürlich auch eine wachsende Verantwortung, der wir uns als Marktführer auch stellen. In erster Linie hat der Tourismus positive Effekte. Er schafft Einkommen, Bildung, Infrastruktur, medizinische Versorgung und so weiter.
Das Wachstum hat aber nicht nur positive Effekte …
Daher achten wir sehr darauf, dass wir verantwortungsvoll wachsen. Wir wissen, welch herausragende Rolle Nachhaltigkeit spielt. Unsere Airlines in Großbritannien und Deutschland stehen im Klimaranking weltweit auf Platz 1 und 3. Wir besitzen schon heute eine der modernsten Kreuzfahrtflotten weltweit und die für 2024 und 2026 bestellten Mein-Schiff-Neubauten werden mit Flüssiggasantrieb ausgeliefert. Und nicht zuletzt leistet auch die von TUI an den Start gebrachte TUI Care Foundation einen wichtigen Beitrag, um sicherzustellen, dass möglichst viele Menschen in den Destinationen nachhaltig vom Tourismus profitieren – zum Beispiel durch Bildungsprogramme, durch die Unterstützung von lokalen Start-ups oder mit Naturschutzinitiativen. Grundsätzlich gilt: Dort, wo sich Tourismus entwickelt, werden soziale Standards und Umweltstandards gestärkt. So entsteht zum Beispiel eine umweltschonende Infrastruktur: Wo Touristen am Strand baden, wächst die Sensibilität für saubere Strände und eine intakte Umwelt. Bauern lernen ökologisch anzubauen und beliefern Hotels und Restaurants mit ihren Produkten. All das stärkt die lokale Wirtschaft der Länder und schafft Arbeitsplätze vor Ort.
Abschließend: Welche Trends sehen Sie, wo wächst TUI?
Die Kreuzfahrten sind und bleiben ein Wachstumsmarkt. Neben den Zugängen bei TUI Cruises und Marella Cruises kommen 2019 zwei Luxus-Expeditionsschiffe zur Flotte von Hapag-Lloyd Cruises hinzu. Reisen in die Karibik gewinnen deutlich, unsere Hotels dort sind zu 95 Prozent ausgelastet. Entsprechend investieren wir auch dort. Und last, but not least wachsen wir auch auf globaler Ebene. Wir wollen unseren Erfolg in der Karibik auch nach Asien übertragen, gehen mit unseren Angeboten nach China, Malaysia, Indien und Brasilien und verbreitern damit unsere Kundenbasis. Mit Hotels unserer Konzernmarken in Sri Lanka, Vietnam, Malediven und Thailand wollen wir auch in Asien Maßstäbe in der Urlaubshotellerie setzen. Der neue Robinson-Club Khao Lak zum Beispiel hat sich in kürzester Zeit zu einem Geheimtipp entwickelt. Solange Menschen verreisen – und alles deutet darauf hin, dass es dabei bleibt –, sind wir in einem attraktiven Markt unterwegs und gestalten ihn aktiv weiter. Man kann sagen: Wir schaffen millionenfach einzigartige Momente für unsere Gäste.
Vielen Dank, Herr Joussen, für das Gespräch.