In Skandinavien bucht man Reisen online. Entsprechend digital ist die Arbeitskultur bei TUI Nordic. Wobei es dabei nicht nur um den Einsatz neuer Gadgets wie Mikrochips unter der Haut oder Roboterassistenten geht. Ein Besuch im TUI-Büro in Stockholm zeigt, wofür New Work vor allem steht: für Transparenz, Teamwork und Freude an der Innovation.
Alexander Huber steht vor der geschlossenen Tür, die Rezeption ist gerade nicht besetzt. Der Geschäftsführer von TUI Nordic hebt seine Hand, an einem Terminal leuchtet ein grünes Licht, die Tür öffnet sich. Von Geisterhand? Huber streicht mit dem linken Zeigefinger über die weiche Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Zu erkennen ist eine kleine Erhöhung, etwas steckt unter Hubers Haut. „Ein Mikrochip, so groß wie ein Reiskorn“, erklärt er. Mit Hilfe der Near Field Communication (NFC) – einer Technik, die auch in neuen Smartphones eingesetzt wird – kann er Türen öffnen, Automaten bedienen, das Kantinenessen bezahlen, den Spind im betriebseigenen Fitness-Studio abschließen. „Viele unserer Mitarbeiter haben sich einen solchen Mikrochip einsetzen lassen“, sagt Huber. Nicht, weil es ohne nicht mehr ginge, dahinter steckt vielmehr eine Philosophie: „Wir bei TUI Nordic sind neugierig auf diese digitalen Innovationen, wir haben Lust, sie auszuprobieren.“
Ab 2020: 100 Prozent Online-Geschäft
Die Büros der TUI-Tochter für den skandinavischen Markt befinden sich im Stockholmer Stadtteil Södermalm, früher ein Arbeiterviertel, heute Heimat der kreativen Szene. Bis Anfang der 70er-Jahre braute in dem denkmalgeschützten Gebäude die schwedische „Münchenbryggeriet“ ein Bier, das an das berühmte Helle aus Bayern erinnerte; heute ist es ein Hotspot für digitale und kreative Unternehmen: Gleich neben den TUI-Offices entwickelt das Unternehmen Mojang das weltweit beliebte Videospiel „Minecraft“, die Designagentur Doberman arbeitet an Kampagnen für die großen Konzerne des Landes. „Wir fühlen uns sehr wohl in dieser Nachbarschaft“, sagt Alexander Huber. „Als digitales und kreatives Unternehmen spielen wir in der gleichen Liga.“ Das Denken von TUI Nordic entspricht den Anforderungen des skandinavischen Markts: Viele Regionen im Norden Europas sind dünn besiedelt, der Weg in die nächste größere Stadt ist häufig weit. Digital zu denken, ist daher für Skandinavier eine Selbstverständlichkeit. Ob Banking oder Musikhören, Gesundheitsversorgung oder Steuererklärung – alles läuft übers Netz. Und das gilt auch für die Tourismusbranche: Reisebüros findet man in Skandinavien nur noch äußerst selten. Schon heute erzielt TUI Nordic mehr als 85 Prozent seiner Umsätze online – ein absoluter Spitzenwert innerhalb der TUI Group, wobei auch auf anderen Märkten der E-Commerce-Anteil zunimmt. Bis 2020, so schätzen Experten, werden die Kunden aus Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland ihre Reisen zu 100 Prozent im Netz buchen. „Die Menschen hier denken und leben digital“, sagt der Geschäftsführer. „Da ist es selbstverständlich, dass wir diesen digitalen ‚Way of Life‘ auch auf unsere Arbeit übertragen.“
Der erste Gang führt Alexander Huber zum Kaffeeautomaten. Er ist jedem Unternehmen ein zentraler Ort, aber in Stockholm gilt das besonders: Die Schweden lieben Kaffee, aber gut muss er sein. „Das garantieren wir“, sagt der Geschäftsführer und nimmt seinen ersten Schluck. „Das steht sogar im Arbeitsvertrag.“ Man würde jetzt erwarten, dass der Chef ins Büro geht, doch Huber nimmt dort Platz, wo der Kaffee am besten schmeckt: auf der Piazza, einem offenen Bereich mit Blick auf den Mälarsee, wo noch zwei Dutzend andere Mitarbeiter sitzen. Hier beginnt er mit der Arbeit: telefonieren, Mitarbeiter treffen, Mails verfassen, Gäste empfangen, Meetings vorbereiten – das normale Tagesprogramm. Aber unter Leuten und für jeden ansprechbar. „Ich habe nie verstanden, warum sich ein Chef in einem unzugänglichen Büro verschanzen sollte“, sagt Huber. „Meine Aufgabe ist es doch, für meine Leute da zu sein und zu erkunden, wie das Herz des Unternehmens schlägt. Und das gelingt mir hier am besten.“ Das Ambiente auf der Piazza erinnert an ein angenehm gefülltes Kaffeehaus, einige der Mitarbeiter sitzen vor ihren Laptops, andere halten in kleineren Gruppen Meetings ab. Wer länger telefoniert, geht kurz in eine der etwas abgetrennten Lounges. Keine Frage: Diese Piazza ist ein sehr angenehmer Ort.
Wettstreit um die digitalen Denker
Aber taugt sie auch als Arbeitsplatz? „Wer sagt denn, dass sich angenehme Atmosphäre und effektives Arbeiten ausschließen?“ Eine gute Frage, gestellt hat sie Charlotte WWiebe, Human-Resources-Direktorin bei TUI Nordic. Kurz zieht sich die Personalverantwortliche mit ihrem Chef in eine Lounge zurück und bespricht ein Detail zu einem Arbeitsvertrag, dann holt sie sich einen Kaffee und kommt auf die Frage zurück, die sie selbst aufgeworfen hat. „Wir verstehen uns als digitales Unternehmen, also brauchen wir die besten digitalen Denker. Doch diese sind auch anderswo gefragt. Unsere Konkurrenten um die talentiertesten Mitarbeiter sind Google und Spotify.“ Daher müsse TUI Nordic eine attraktive und digitale Arbeitskultur bieten, „verbunden mit der Möglichkeit, sich an jedem Tag persönlich weiterentwickeln zu können“. Dann verweist Charlotte WWiebe auf einen Namen, den man auf den ersten Blick nicht unbedingt mit der Digitalisierung verbindet: Maria Montessori, wichtigste Reformpädagogin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die schon damals feststellte, dass offene Räume und freie Arbeit dazu führen, dass man besser lernt und zufriedener ist. Die Personalchefin schaut sich auf der Piazza um, sieht, wie sich Meetings häufig ganz natürlich zusammenfinden, wie Kollegen ins Gespräch kommen, ohne vorab Termine zu vereinbaren, wie sich Hierarchien auflösen, weil sich niemand hinter verschlossenen Türen verschanzt. „Unsere Mitarbeiter schaffen sich ihre Arbeitsplätze selbst, und zwar dort, wo sie sich wohlfühlen und wo es sinnvoll ist.“ Möglich macht das die Digitalisierung, denn mit dem Smartphone und dem Laptop hat jeder die erforderliche Ausrüstung immer mit dabei. „Keine Frage“, sagt Charlotte WWiebe, „Maria Montessori wäre heute eine große Verfechterin dieser Idee von New Work.“
Mob-Programming: das Sechs-Augen-Prinzip
Doch was zeichnet New Work aus, wenn sich Mitarbeiter nicht auf einer Piazza treffen? Charlotte WWiebe startet einen Rundgang durch die Arbeitswelten von TUI Nordic. Im untersten der drei Stockwerke gibt es neben der Piazza mehrere Besprechungsräume, alle verglast, doch das stört die Teilnehmer nicht, im Gegenteil, sagt Charlotte WWiebe: „Meetings hinter undurchsichtigen Wänden schüren die Sorge, dass hinter der verschlossenen Tür etwas passiert, was ich nicht sehen soll. Offenheit dagegen steht für Kreativität und Innovation.“ Über eine Wendeltreppe geht es nach oben, hier dominieren Dutzende Monitore das Bild, an denen Mitarbeiter neue Reiseangebote entwickeln, die Suchprozesse auf der Homepage anpassen, mit Kunden und Geschäftspartnern kommunizieren. Mitten in diesem Großraumbüro haben sich drei Mitarbeiter vor einem überdimensionalen Monitor versammelt: Einer tippt einen Internet-Maschinencode, zwei schauen zu, geben Kommentare, schlagen Korrekturen vor. Nach einer Viertelstunde wird plötzlich der Bildschirm grau, in schwarzer Schrift steht geschrieben: „Pause, dann Wechsel.“ Die drei atmen kurz durch, ein kurzer Schwatz über den ungewöhnlich guten Sommer und die jüngsten Fußballresultate, dann geht es weiter: Ein anderer der drei Kollegen schreibt den Code weiter, der Tipper von eben ist für die nächsten 15 Minuten Zuschauer und Kommentator. Mob-Programming heißt diese Arbeitsmethode, entwickelt wurde sie in Software-Unternehmen, wo Spezialisten in rasender Geschwindigkeit Codes schreiben – und zwar nicht jeder für sich alleine, sondern im Team, nach dem Sechs-Augen-Prinzip. „Wir haben diese Methode vor einigen Monaten übernommen“, sagt einer der Programmierer. Zunächst war er skeptisch: Drei Leute an einem Monitor – ist das nicht Zeitverschwendung? „Das Interessante aber ist, dass wir zu dritt nicht nur einen besseren Code schreiben, sondern am Ende des Tages sogar schneller sind“, sagt er. Sechs Augen sehen mehr als zwei, dadurch vermeiden die Programmierer Fehler, deren Suche viel Zeit kostet. Hinzu kommt, dass der Rollenwechsel alle 15 Minuten Geist und Körper frisch hält. „Wir programmieren nicht mehr in einer Blase, sondern im Team.“ Was zeigt, dass neue digitale Arbeitsweisen immer auch mit Kooperation zu tun haben.
Jeder Klick erhöht die Vorfreude
Verantwortlich für viele der Ideen, die von den Programmierern umgesetzt werden, ist Martin Bystedt, Head of User Experience & Digital. Bystedt ist Ende 30 und blickt auf eine interessante Laufbahn zurück: Er begann sein Berufsleben als Koch, war danach Kreativdirektor bei angesagten Werbeagenturen, seit Anfang 2015 ist er einer der führenden digitalen Denker bei TUI Nordic. „Unser Ansatz ist immer die Frage, was die Kunden von uns erwarten“, sagt er. Und was ist das? Bystedt antwortet mit einer Gegenfrage: „Angenommen, Sie möchten in ein für Sie neues Land verreisen, wie gehen Sie vor?“ Ein erstes Informieren im Internet, via Suchmaschine. „Das machen die meisten so – und zwar so lange, bis sie frustriert sind, weil es zu viele Optionen gibt. Unser Ziel ist es daher, die Vorzüge von Google mit individuell passenden Angeboten zu verbinden.“ Bystedt klappt sein Notebook auf. „Spielen wir das einmal durch, geplant ist eine Reise ans Mittelmeer mit schulpflichtigen Kindern.“ Er gibt die Rahmendaten ein, schon zeigt der Algorithmus eine Auswahl mit Zielen, die wirklich passen – auch, weil er zuvor gebuchte Reisen und Bewertungen miteinbezieht. „Unser Anspruch ist es, immer smarter zu werden, damit die Kunden beim Suchen und Buchen an keiner Stelle Frust entwickeln, sondern im Gegenteil die Lust auf die Reise mit jedem Klick steigt“, sagt er. Um das zu gewährleisten, sind die Prozesse, die hinter der Suchmaske ablaufen, immer in Bewegung. „Früher war eine Website ein Tanker“, vergleicht Bystedt, „der tuckerte mehr oder weniger zuverlässig, und wenn man seine Richtung ändern wollte, dauerte das ewig. Heute besteht unser Online-Angebot aus einer riesigen Flotte kleiner und wendiger Boote.“ Updates passieren ständig, im Durchschnitt einhundert pro Tag. Entsprechend agil muss der Workflow sein.
Wenn Roboter zu Kollegen werden
Wie dabei digitale Faktoren wie Big Data und künstliche Intelligenz helfen können, findet Christopher Riddersäter heraus, bei TUI Nordic verantwortlich für den Bereich Automation & Machine Learning. Gleich zu Beginn des Gesprächs überrascht er mit einer Aussicht: „Ich denke, dass bis zu 50 Prozent der Dinge, die bei uns aktuell noch von Menschen erledigt werden, in naher Zukunft automatisiert werden können.“ Die Frage zu seiner Prognose liegt auf der Hand: Was gibt es dann für die Menschen noch zu tun? „Die Jobs gehen nicht verloren“, sagt Riddersäter, „sie werden sich anders gestalten: kreativer, spannender.“ Während im Hintergrund die Maschinen arbeiten, entwickeln in den offenen Büros die Mitarbeiter Ideen – „immer entlang der Maxime, in den Mittelpunkt zu stellen, welche Bedürfnisse die Kunden haben“. Ein großes Thema werde zum Beispiel die Spracherkennung sein: Statt zu tippen und zu klicken, sagt der Kunde der TUI-App, was er sich wünscht – diese hört gut zu und zieht die richtigen Schlüsse. Dann zeigt Riddersäter auf den Roboter in seinem Büro, der das Gespräch bislang neugierig, aber still verfolgt hat. „Das ist Pepper, unser Roboterassistent. Er ist seit August bei uns, besitzt einen Arbeitsvertrag und eine detaillierte Stellenbeschreibung.“ – „Hallo, Pepper“, sagt sein Chef. „Hallo, wie kann ich dir helfen?“, fragt Pepper zurück. Der Roboter soll die Telefonnummer eines dänischen Kollegen herausfinden – und erledigt die Aufgabe in Sekundenschnelle. „Das ist nützlich, vor allem aber ist Pepper ein Symbol, wie auch der Mikrochip unter der Haut“, sagt Riddersäter. „Er zeigt uns schon heute, auf welche Art wir morgen mit Maschinen zusammenarbeiten werden – und dass wir bei TUI Nordic große Lust auf diese Zukunft haben.“