Dr. Lukas Schack, Principal Machine Learning Engineer der TUI, spricht über das TUI Flight Margin Brain und wie künstliche Intelligenz bei der optimalen Preisfindung unterstützt.
Lukas, in einem Yammer-Post hast du die Zahl von 70 Millionen individuellen Flugpreisberechnungen pro Tag bei TUI genannt, die mit künstlicher Intelligenz abgewickelt werden. Was steckt dahinter?
Durchschnittlich 70 Millionen individuelle Flugpreise werden für die Central Region – das sind Deutschland, Österreich, die Schweiz und Polen – durch ein von TUI Teams selbst entwickeltes Tool berechnet. Pro Tag. Wenn ein Kunde auf unserer eigenen TUI Webseite oder über eines der bekannten Reiseportale einen von TUI angebotenen Flug einer Fluggesellschaft angezeigt bekommt, dann sind dafür im Hintergrund bereits verschiedene Anfragen bei den Fluggesellschaften gelaufen.
Das Tool heißt TUI Flight Margin Brain. Welche Parameter für die Wahl des Preises setzt es denn ein?
Im Prinzip sucht das System mit den Parametern, die die Kunden auf der Webseite eingeben, also zum Beispiel Zeit, Abflugsort oder die Anzahl der Stopps. Es erhält dann von den Partner-Fluggesellschaften einen Preis und entscheidet selbständig, was TUI auf diese angebotenen Preise noch selbst als „Mark-Up“ draufsetzt, um den optimalen Preis zu erzielen.
Was ist der optimale Preis?
Der optimale Preis ist zunächst einmal ein Preis, zu dem der Kunde den Flug über uns bucht. Und dann spielen eben auch andere Aspekte noch eine Rolle, wie zum Beispiel strategische Ziele. Es kann sein, dass unsere Strategie für einen bestimmten Zeitraum darauf setzt, vor allem möglichst viele Flüge zu verkaufen. Und für einen anderen Zeitraum kommt es eher darauf an, eine bestimmte Marge zu erreichen. Das System arbeitet im Sinne der jeweils von unseren Flight-Teams gesetzten Strategie.
Das TUI Flight Margin Brain ist eine Eigenentwicklung von TUI?
Ja genau. Wir nutzen dafür eine von AWS angebotenes Tool als Plattform. Auf dieser Basis haben wir dann selbst entwickelt. Man kann sich das ähnlich wie ein Lego-Baukasten vorstellen, aus dem man dann allerdings etwas Eigenes baut. Unser Margin Brain lernt dabei schrittweise selbst, sammelt eine Vielzahl von Datenpunkten und eigenen Erfahrungen. Diese Art eines selbstlernenden Systems heißt Reinforcement Learning. Bei 70 Millionen individuellen Flugpreisabfragen kommt da einiges zusammen. Das passiert allerdings alles in der Cloud und so müssen wir uns hier nicht um die Skalierung kümmern. Hier kommt uns zugute, dass wir als TUI früh auf die Cloud gesetzt haben. Das war eine Grundvoraussetzung für den Einsatz solcher Systeme.
Was macht das Margin Brain denn smart?
Dahinter steckt Künstliche Intelligenz. Vereinfacht ausgedrückt ist das ein neurales Netz, das aus den Suchparametern den optimalen „Mark-Up“ generiert. Dieser kann für jede Suchanfrage anders sein: Airlines verändern ihre Preise, die Nachfrage ist stark oder schwach, es gilt Ferienzeiten oder Feiertage zu berücksichtigen. Alle diese Informationen führt die künstliche Intelligenz individuell zusammen und berechnet den optimalen Preis. Bis zu einem gewissen Grad kann man das natürlich mit von Menschen gesetzten Regeln machen – aber diese werden nie so individualisiert sein können. Hinzu kommt, dass das System kontinuierlich lernt – und die Erfahrung, ob ein bestimmter Preis zu einer Buchung geführt hat oder nicht, dann in Zukunft berücksichtigt. Das TUI Flight Margin Brain ist also nicht nur smart, es wird auch noch ständig smarter.
Wie funktioniert das Lernen?
Ein Aspekt von Reinforcement Learning ist beispielsweise, innerhalb eines vorher gesetzten Rahmens mit unterschiedlichen Preisen auf der Webseite zu experimentieren. Das hilft uns,unser Angebot effizienter zu steuern, weil so teilweise ganz neue und unerwartete Ergebnisse erzielt werden können. Es geht darum, den für TUI idealen Preis zu finden, den der Kunde auch akzeptiert. Nur ein gebuchter Preis ist ein guter Preis.
Es hat wahrscheinlich einige Zeit gedauert, bis das System smart genug war?
Zu Beginn des Projektes wussten wir noch nicht, wie gut unsere Idee funktionieren würde. Wir haben deshalb mit zwei kleinen Destinations-Airports in der Türkei angefangen und die Flüge dorthin über das Margin Brain laufen lassen. Schrittweise haben wir dann mehr Ziele aufgenommen. Schnell wurde dann deutlich, dass die Preise mit den manuell erstellten Regeln nicht nur mithalten konnten – sondern dass wir dank der künstlichen Intelligenz auch bessere Preise erreichen konnten. Heute läuft bereits jeder zweite in der Central Region angebotenen Flug von Drittanbietern über das TUI Flight Margin Brain.
Ist überprüfbar, wie das „smarte“ System gegenüber dem traditionellen System abschneidet?
Wir machen weiterhin A/B-Tests, in denen wir das technologische Brain gegen das traditionelle regelbasierte System antreten lassen. Und da sehen wir schon, dass die künstliche Intelligenz signifikant bessere Preise erzielt. Es sind aber nicht nur die Preise – mit Unterstützung der Technologie erzielen wir auch mehr gebuchte Flüge pro Suchanfrage.Übrigens nutzen wir die Learnings des TUI Flight Margin Brains auch, um das regelbasierte System besser zu machen.
Dein Team arbeitet weiter an dem System. Was habt ihr euch vorgenommen?
Mit dem TUI Flight Margin Brain konnten wir zeigen, dass wir maschinelles Lernen sicher einsetzen, langsam skalieren und so einen echten Wertbeitrag für TUI leisten können. Für das Thema Flüge arbeiten wir derzeit daran, noch stärker die Preise anderer Plattformen in unsere eigene Preisbildung einzubeziehen. Und dann schauen wir uns an, wie wir unsere Erfahrungen bei TUI Wheels – also unseren Mietauto-Angeboten – einsetzen können. Prinzipiell eignet sich jedes dynamische System für so ein technologisches Brain, solange genügend Daten verfügbar sind. Auch beim Thema Acco Only wäre der Einsatz eines solchen Systems in Zukunft denkbar.
Ihr habt als Tech-Team für das TUI Flight Margin Brain eng mit den Kollegen aus dem Business zusammengearbeitet. Wie sah die Zusammenarbeit aus?
Wir hatten und haben einen sehr engen, regelmäßigen Austausch. Die Business-Kollegen waren im gesamten Entwicklungsprozess eingebunden. Wir wollten keine Black Box für sie entwickeln. Sondern ein Tool, das ihre Arbeit bestmöglich unterstützt. Unser Ziel ist es bei solchen Projekten stets, zwar die Entwicklung zu machen – aber dann auch die Business-Teams dazu zu befähigen, ein solches System selbst zu betreiben und weiterzuentwickeln. Darauf zähle ich auch hier.