„Innerhalb von drei Tagen haben wir [...] alle unsere deutschen Gäste von den Kanaren zurückgeholt."
– Ulrich Heuer, TUI-Krisenmanager
Herr Heuer, die letzten Wochen waren absolut außergewöhnlich und die (Reise-)Welt hat sich einmal auf den Kopf gedreht. Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Ich bin seit 25 Jahren Krisenmanager bei TUI, davon bin ich zwölf Jahre Leiter des Krisenstabs. Ich habe also wirklich schon viele unvorhergesehene Ereignisse erlebt, aber so etwas habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nicht gesehen. Als ich Ende letzten Jahres zum ersten Mal von einem neuartigen Virus aus China hörte, war ich sofort hellhörig. Ich bin bei solchen Nachrichten fast schon ein wenig neurotisch. Anfangs war ich mit den Gedanken an eine mögliche Pandemie noch fast alleine. Sicher, es gab Telefonkonferenzen auf Konzernebene mit den anderen Konzernveranstaltern, aber die bezogen sich inhaltlich eher auf China, Südkorea oder Thailand als Reiseländer. Als am dritten Februar-Wochenende die ersten Fälle in Italien auftauchten war jedoch klar, dass wir auf etwas Großes zusteuern. Dass es jedoch so dynamisch werden würde, das hätte auch ich nicht erwartet.
Sie haben anfangs versucht Urlauber auf andere Ziele umzubuchen, warum?
Unser Krisenzentrum haben wir am 24.02. hochgefahren. Am Anfang gab es Hinweise des Auswärtigen Amts in bestimmte Gebiete nicht mehr zu reisen oder Vorgaben zur Selbstquarantäne bei Einreise für spezielle Regionen. Das war für uns noch „business as usual“. So etwas verzeichnen wir mehrmals im Jahr. In der Corona-Krise hatten wir jedoch innerhalb von fünf Wochen 64 dieser Ereignisse. Die Bestimmungen wurden immer strikter und täglich kamen neue Länder hinzu. Anfangs haben wir noch überlegt umzubuchen. Von den Kanarischen Inseln auf die Karibik, zum Beispiel. Wir wollten unseren Gästen ja etwas anbieten und es ihnen möglich machen, mit uns zu verreisen. Aber die Frequenz der geänderten Sicherheitshinweise war immens hoch. Als immer mehr Länder generell Urlauber aus Deutschland nicht mehr einreisen ließen, kamen wir gar nicht mehr dazu, über Alternativen nachzudenken.
Was hat das Ganze so herausfordernd gemacht?
Die größte Herausforderung war, dass sukzessive immer mehr Länder die Ausreise aller Urlauber binnen kürzester Zeit verlangten. Und wir sprechen hier nicht von zwei oder drei Ländern, sondern quasi von allen wichtigen Urlaubsdestinationen. Das habe ich so noch nicht erlebt, da war der Druck unheimlich hoch. Für manche Länder ließ sich das logistisch ad hoc gar nicht darstellen, da die Flieger für andere Strecken eingeplant waren und wir nicht unbegrenzt Flugzeuge zur Verfügung haben. Wir mussten die Prioritäten ständig ändern und immer wieder umplanen. Das war schon unglaublich, wenn man bedenkt, dass wir über 70.000 Gäste weltweit auf Reisen hatten. Zum Vergleich: Beim Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 auf Island waren es 30.000 Gäste.
Wie lange hat die Rückholung der Gäste aus den Ländern gedauert?
Begonnen haben wir damit, mit unserer Airline TUI fly nur noch Gäste nach Hause zu fliegen, aber keine neuen Gäste mehr in die Reiseziele zu bringen. Mal zum Vergleich: die längste Krise, die unser Krisenzentrum für eine Rückholaktion bis dahin beschäftigt hatte, dauerte acht Tage. Das war der Hurrikan Irma im Jahr 2017. Bei der Corona-Krise waren wir nur für den touristischen Teil fünf Wochen im Krisenmodus. Insgesamt dauerte es vier bis fünf Wochen bis wir alle unsere Gäste, die überall auf der Welt verteilt waren, zurückgeholt hatten.
Wie haben Sie sich in dieser Zeit motiviert?
Ich weiß, dass ich mich auf mein Team immer verlassen kann. Wir haben schon viele Krisenereignisse gewuppt. Unsere Fachleute, zum Beispiel in der Flugdisposition und unserer 24/7 Notfallzentrale, haben binnen kürzester Zeit Flugzeuge organisiert. Innerhalb von drei Tagen haben wir beispielsweise alle unsere deutschen Gäste von den Kanaren zurückgeholt, eine der beliebtesten Winterdestinationen. Es war enorm, was unser Team hier im Haus und auch unsere Kollegen vor Ort da geleistet haben. In Zielen wie Neuseeland gestaltete sich die Lage schwieriger. Aber auch da ist es uns gelungen, alle Gäste ausfindig zu machen. Es ist uns deshalb so wichtig, dass Urlauber bei der Buchung ihre Handynummer angeben, damit wir sie in solchen Fällen erreichen können.
Wie haben Sie die Gäste in dieser Zeit erlebt?
Unsere Gäste waren durch die dynamische Situation zunehmend besorgt und erkundigten sich nach ihren Rückreisemöglichkeiten. Auch Kollegen kamen auf uns zu, deren Kinder für Work & Travel im Ausland waren. Es gab aber auch viele Gäste, zum Beispiel auf einigen Malediveninseln, die nicht vorzeitig abreisen wollten, da das touristische Leben dort normal weiterlief. Wir haben hier viel aufgeklärt und unsere Gäste immer wieder über die neuen Entwicklungen informiert und unsere Pläne immer wieder angepasst. Es war wichtig zu priorisieren und erstmal die Reisenden zurückzuholen, die in Ländern waren, bei denen die Behörden eine kurzfristige Ausreise angeordnet hatten.
Das klingt nach Stress. Gab es auch positive Momente in den letzten Wochen?
Bemerkenswert finde ich den Zusammenhalt, den wir in diesen Zeiten gespürt haben. Viele Gäste haben unsere Kollegen vor Ort für ihren Service gelobt. Reisebüros haben sich zusammengetan und uns Carepakete mit Süßigkeiten für das Krisenteam geschickt. Auch die Kollegen in der Zentrale haben uns unterstützt, wo sie konnten – das war klasse und hat uns immer wieder aufgepäppelt in dieser herausfordernden Zeit.
Wie geht es denn jetzt weiter?
Spätestens als am 16. März das Auswärtige Amt die weltweite Reisewarnung rausgegeben hatte, war klar, wir mussten den Stecker ziehen und unser Geschäft pausieren. Noch etwas, das ich bis dahin nie erlebt habe. Wir haben jetzt Task Forces gebildet, die sich mit dem Wiederanlaufen des Geschäfts auseinandersetzen und zum Beispiel alle verfügbaren Informationen zu unseren Reisezielen zu sammeln, um ein Gespür dafür zu bekommen, wann es wieder losgehen könnte. Man fährt Urlaubsgebiete nicht innerhalb von 24 Stunden hoch. Die Flieger unserer Airline müssen wieder bereit sein, Reiseleiter eingeplant und mit Hotelpartnern gesprochen werden, wann sie wieder öffnen können. Sobald wieder gereist werden darf, werden wir bereit sein, um unseren Gästen wieder die schönste Zeit des Jahres zu bieten. So verlieren wir keine Zeit, wenn es soweit ist. Wir wünschen uns doch alle ein Stück Normalität zurück und Urlaub gehört da einfach dazu.
„Sobald wieder gereist werden darf, werden wir bereit sein, um unseren Gästen wieder die schönste Zeit des Jahres zu bieten. [...] Wir wünschen uns doch alle ein Stück Normalität zurück und Urlaub gehört da einfach dazu."
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie diese Krise hinter sich gebracht haben?
Ich werde erstmal richtig lange ausschlafen. Und ich möchte auch unbedingt wieder reisen. Am liebsten an einen einsamen Strand, wo ich nach all dem Trubel Ruhe genießen kann.
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